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Architekten, nicht Feuerwehrleute

Kolumne

„Ich bin außergewöhnlichen Menschen begegnet, prophetischen und visionären Politikern“, so Jacques Delors, der frühere EU-Kommissionspräsident. Diese Bemerkung galt allerdings nicht den derzeitigen politischen Akteuren in Brüssel oder Berlin, sondern Staatsmännern wie Robert Schuman und Konrad Adenauer. „Diese Persönlichkeiten haben ein hundert Jahre altes gegenseitiges Misstrauen überwunden. Das waren fähige Leute, die in der Sache nicht nachgaben, die versuchten, mit anderen zusammen auf eine Versöhnung, einen Austausch hinzuarbeiten. Das ist großartig. Das ist Europa. Es existiert nicht ohne Vision und Willensstärke.“

Ja, das wünschte man sich auch in der deutschen Politik dieser Tage, wenn sich die möglichen Koalitionäre in Interviews und Kommentaren gerieren, als seien da einander misstrauende, sich gegenseitig belauernde und übervorteilende Akteure am Werk, darauf bedacht, dem jeweils anderen Zugeständnisse abzuringen, die einem Gesichtsverlust gleichkämen. Ein menschliches Armutszeugnis, in manchem auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, in der oft mit ebenso harten Bandagen um den (vermeintlich) eigenen Vorteil gekämpft wird. Kein Wunder, wenn manche Politiker – vermeintlich uns zu Gefallen – ebenso verbohrt und verbiestert ihre Interessen durchfechten. Vielleicht bräuchte es da ein Schuss Kölsch: „Mer muss och jünne künne!“ (hochdeutsch: „Man muss auch gönnen können“).

Es mag einem Kolumnisten nicht zustehen, unsere Volksvertreter an die Präambel des Grundgesetzes zu erinnern: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen ...“, aber hilfreich wäre es schon im politischen Handeln wie im Zusammenleben unserer Gesellschaft, sich dessen bewusst zu sein, was die Grundlage und die Grundausrichtung unseres Gemeinwesen ist.

"Das Europa der Gründungsväter“, so Delors, „war im Hinblick auf Moral und Spiritualität mustergültig.“ Dazu bräuchte es auch heute – auf nationaler wie europäischer Bühne „nicht einfach nur Feuerwehrleute, wie brauchen Architekten“. Angesichts solch hellsichtiger Analysen könnte man wehmütig oder gar trübsinnig werden: Politik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner, ohne Charisma und ohne Vision.

Aber das muss nicht so sein. Als im März dieses Jahres die 27 Regierungschefs der EU im Vatikan zusammenkamen, erinnerte Papst Franziskus an den „leidenschaftlichen Einsatz für das Gemeinwohl“ aus der Gründungszeit. Europa, so der Papst, finde wieder Hoffnung, wenn es sich auf „die Zentralität des Menschen, eine tatkräftige Solidarität, die Offenheit für die Welt, das Verfolgen des Friedens und der Entwicklung, die Offenheit für die Zukunft“ besinne. Im Anschluss an die Audienz öffneten sich, für alle unerwartet, die Türen zur Sixtinischen Kapelle. Ein Raunen ging durch die Führungselite Europas, als man sich zum Gruppenfoto zusammenstellte, just unter dem Jüngsten Gericht von Michelangelo. Ein Bild von staatstragender Bedeutung: Politik, die sich einmal verantworten muss – im Angesicht des Ewigen.