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Der Zug war pünktlich

Kolumne

Kein Aprilscherz! „Heute sind wir mal pünktlich.“ Mit einem Lächeln hielt mir die Zugbegleiterin beim Aussteigen die Tür auf. Augenzwinkernd verabschiedeten wir uns. Kurz zuvor hatte sie mir im Gang erzählt, dass sie sich oft von Fahrgästen unflätige Bemerkungen anhören und persönliche Kränkungen gefallen lassen muss, wenn die Bahn mal wieder Verspätung hat, ein Zug ausfällt oder schlicht ein Lokführer fehlt. Natürlich ist es ärgerlich, wenn man den Anschlusszug verpasst, die Fahrt  wegen umgestürzter Bäume oder – schlimmer noch - „Personen im Gleis“ unterbrochen wird.  Aber muss man deshalb Wut, Spott und Häme bei denen auskübeln, die im Service oder bei der Auskunft ihre Arbeit tun und am wenigsten dafür können, dass der Zeitplan durcheinander gerät? Und die auch dann noch höflich und freundlich reagieren ...

Die Gattung „Erlebnisse mit der Bahn“ gehört mittlerweile zum Standardrepertoire in jeder Konversation; da kann jeder mitreden, angereichert noch mit Schauergeschichten über Flugausfälle, Stauerfahrungen  und Busfahrerstreiks. Doch warum machen uns solche Zwischenfälle und Zwangspausen so zu schaffen? Offenkundig ist unser Zeitplan so eng getaktet, dass er nur aufrecht erhalten werden kann, wenn alles reibungslos funktioniert. Verzögerungen und Ausfälle sind nicht vorgesehen, schon gar nicht höhere Gewalt oder menschliches Versagen. Wenn dann auch noch ein Schlaumeier meint, so eine Unterbrechung hätte doch auch ihr Gutes: gewissermaßen „geschenkte Zeit“, dann ist das auch nicht unbedingt ein Stimmungsaufheller. Dabei bräuchte es gerade dann die Einsicht, dass all unserem Planen und Tun, so perfektioniert und ausgeklügelt es auch sein mag, mitunter Grenzen gesetzt sind, die wir nicht zu verantworten haben. Das anzuerkennen verweist allerdings schon auf die hohe Kunst einer Alltagsspiritualität, wie sie der amerikanische Theologe Reinhold Niebuhr in ein Gebet gekleidet hat: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann; den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Unlängst war ich übrigens auf dem Weg zum Bahnhof wieder einmal spät dran und hastete mit letzter Kraftanstrengung die Treppen zum Bahnsteig hoch, um gerade noch die erlösende Ansage aus dem Lautsprecher zu hören: „Der Zug hat einige wenige Minuten Verspätung.“ Auch dies zum Glück kein Aprilscherz!