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Dortmund trauert

Kolumne

Dortmund trauert. Am Donnerstagabend kam die Nachricht über den Ticker: Natala, das älteste Nashorn Europas, ist gestorben. Auch wenn Natala mit einem Lebendgewicht von rd. 2 t nicht gerade ein Streicheltier zum Anfassen war, wird manch einer, der die "Nashorn-Oma" bei Besuchen im Dortmunder Zoo liebgewonnen hat, mit Wehmut an sie denken. Ich bedaure im Nachhinein, Natala zu ihren Lebzeiten nicht persönlich in Augenschein genommen zu haben. Doch erinnert mich an vielen Stellen der Stadt ihr Portrait daran, dass die äußere Erscheinung, wie ja auch uns Menschen, mitunter darüber hinwegtäuscht, was sich hinter der Fassade an Fähigkeiten und Fertigkeiten verbirgt.

Insofern war es eine geniale Idee des Dortmunder Konzerthaus-Marketings, auf die Besonderheiten und Qualitäten ausgerechnet eines Breitmaulnashorns hinzuweisen, die dem Auge des Betrachters zumeist verborgen bleiben. Denn das Rhinozeros verfügt nicht nur über einen hervorragenden Geruchssinn und kann über Hunderte Meter hinweg Witterung aufnehmen; es kann auch seine Ohren unabhängig voneinander bewegen und mit seinem exzellenten Gehör kilometerweit Infraschall-Laute erfassen, die wir Menschen als Vibrationen empfinden.

Daran muss ich oft denken, wenn ich an einer dieser lebensgroßen Nashorn-Skulpturen in der Innenstadt vorbeikomme: dass es doch auch bei uns Menschen nicht unbedingt auf das Äußere ankommt (was nicht bedeutet, sich nicht um ein kultiviertes Aussehen und Auftreten zu bemühen), sondern auf innere Werte: auf die Sensibilität für den anderen; auf das seismographische Gespür für atmosphärische Stimmungen und gesellschaftliche Veränderungen; auf die Fähigkeit, nicht sofort loszupoltern, sondern genauer hinzuhören und auf Störungen einzugehen… Was wäre das für ein zivilisatorischer Fortschritt, wenn es in Politik und Gesellschaft, aber auch im alltäglichen Miteinander nicht auf Machtspiele und Platzhirschmentalität ankäme, auf Imponiergehabe und testosterongesteuertes Dominanzverhalten, sondern auf ein ehrlich bemühtes Wahrnehmen der Wirklichkeit, ein feinfühliges Interesse an Prozessen und Entwicklungen.

Natala wird das alles gleichgültig gewesen sein. Doch nicht der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen, sondern das feinfühlige geflügelte Nashorn hat es mir angetan. Denn wer sich auf jene inneren Werte besinnt, dem wachsen gewissermaßen Flügel, so wie dem Dortmunder Wappentier. Dann mag es auch gelingen, sich immer wieder all des Belastenden und Bedrückenden zu entledigen, sich bei allem, was einen niederdrückt, jene Leichtigkeit zu bewahren, um abzuheben, sich des Kleinkrams des Alltäglichen und jeglicher Kleingeisterei des nur vordergründig Verrechenbaren zu entheben und vertrauensvoll nach vorne zu schauen. Himmelwärts!