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Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen

Kolumne

„Die haben ja geschummelt!“, entfuhr es dem kleinen Kevin, mit Mutter und Oma aus dem Sauerland angereist, als er staunend vor dem Dortmunder Weihnachtsbaum stand, dem größten Deutschlands, wie es in der Eigenwerbung nicht ganz unbescheiden heißt. Doch Kevin hatte sich die Attraktion auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt einmal genauer angeschaut und festgestellt, dass das Spitzenprodukt vorweihnachtlichen Brauchtums in Wahrheit aus vielen kleinen Tannen bestand, wahrscheinlich alle bei ihm vor der Haustür im Sauerland geschlagen. Doch zusammengesteckt ergibt sich daraus ein imposantes Gebilde, mehr als nur das Wahrzeichen einer stimmungsvollen Einkaufslandschaft.

So erhebt sich der Dortmunder Weihnachtsbaum über dem heiter-geschäftigen Gewusel und dem undefinierbaren Duftmix von Bratwurst, Glühwein und Räucherstäbchen. Mit seinen vielen Lichtern streckt er sich der Dunkelheit entgegen, ein Leuchtturm adventlicher Erwartung, der die Erinnerung daran bewahrt, dass der Nacht der Menschheit im Tiefsten ihre Spitze genommen ist.

„Am Weihnachtsbaum die Lichter glänzen“, so klingt es in einem alten Weihnachtslied. Es ist der Glanz der Weihnacht, die sich auch auf unsere Welt legen will. Die Nacht bleibt, auch mit all dem Dunkel in unserem Zusammenleben wie den persönlichen Sorgen, aber sie wandelt sich zur Weih-Nacht: Nacht, in die Gott hineingestiegen ist. Nacht, in der er, Gott, sich finden lässt. Von diesem Schimmer des Lichtes, der Hoffnung und des Trostes in jeder Menschennacht spricht der Weihnachtsbaum, auch der zusammengesteckte auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt. Eine Einladung, sich zusammenzutun und sich von jenem Glanz berühren zu lassen. Dann würden nicht nur Kevins Entdeckeraugen leuchten, es würde sich erschließen, was in einer anderen Strophe des Weihnachtsliedes anklingt: „O fröhlich, seliges Entzücken, Die Alten schauen himmelwärts.“

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Gegen das Vergessen

Kolumne

Ein friedliches Bild. In der Dämmerung ein lichter Schimmer über dem Gräbermeer. Rote Lichter, die gegen die Dunkelheit anleuchten. An dem Ort des Todes und der Trauer breitet sich Friede, ewiger Friede aus. Ich meine den Hauptfriedhof unserer Stadt, einer der größten und, wie ich finde, schönsten Friedhofsanlagen in Deutschland: ein Refugium auch für die Lebenden, die sich abseits der Hektik der Innenstadt und dem Lärm der Straße von der lautlosen Macht der ersterbenden Natur einfangen lassen. Denn besonders jetzt im November, dem „Totenmonat“, wenn die Tage kürzer werden und die Natur zu ihrem Winterschlaf ansetzt, drängt sich der Gedanke auch an die eigene Endlichkeit und Vergänglichkeit auf, „Schlafes Bruder“, wie es im Film heißt.

„Wenn ich in ein Land komme, das ich noch nicht kenne“, so sagte mir kürzlich ein Bekannter, „suche ich zunächst die Friedhöfe auf.  Denn wie ein Volk mit seinen Toten umgeht, so geht die Gesellschaft auch mit den Lebenden um.“ Recht hat er. Die Erinnerungskultur einer Gesellschaft verrät auch viel über ihr Menschenbild: den Respekt vor der Würde des einzelnen, seiner Integrität, auch über den Tod hinaus. Da mögen touristische Totenschädelfotos am Kaukasus noch als peinliche Ausrutscher abgetan werden, und Halloween-Parties von dem eigentlichen Ernst der Frage ablenken. Aber verrät der Trend zur anonymen Bestattung nicht vor allem etwas von der großen Einsamkeit, Verlorenheit, Beziehungslosigkeit in unserer Zeit? „Ich habe doch keinen, der an mich denkt:“ Oder: „Ich will meinen Kindern später nicht zur Last fallen.“

Verscharren, Verbrennen, Vergessen. Ein Armutszeugnis. Eine Gesellschaft, die den Tod und die Toten ausgrenzt, bringt sich selbst um die Kraft der Erinnerung und verschließt sich der Ahnung, dass Leben über den Tod hinausgeht. Da sind die brennenden Kerzen auf unseren Friedhöfen so etwas wie eine stille Gegendemonstration: gegen das Vergessen und für die Erinnerung, dass Gott auch denen, die wir möglicherweise vergessen haben, ein Licht, sein Licht aufgehen lässt.

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Post aus Jerusalem

Kolumne

Post aus Jerusalem. Aus heiterem Himmel ein Brief von einem ehemaligen Studenten. Ich erinnere mich noch an sein Abschlusskonzert einige Jahre zuvor in der Musikhochschule Detmold. Ralph, ein begnadeter Organist, war hin- und hergerissen, ob er die Musik zum Beruf machen oder nach seinem Theologiestudium nicht doch ins Priesterseminar wechseln sollte. Jahre später traf ich ihn in Jerusalem wieder, damals bereits Mönch der Benediktiner-Abtei auf dem Sion, zunächst noch auf Probe.

Nun also der endgültige Schritt: In seinem Brief schreibt er, dass er „in der Gemeinschaft der Brüder für immer Beständigkeit, klösterlichen Lebenswandel und Gehorsam gelobe". Eintrittskloster gleich Sterbekloster, eine Insel der Stabilität in einer Zeit, da alles im Wandel ist. Eine Entscheidung gegen den Trend, da man sich möglichst alle Wege offen lässt aus Angst, man könne etwas verpassen. Und während die Welt darum bangt, dass der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern nicht eskaliert, macht es sich einer zur Lebensaufgabe, genau auf dem Grenzland zwischen verfeindeten Nachbarn zu siedeln, an jenem Ort, wo schon im Sechs-Tage-Krieg die Demarkationslinie verlief. Das Kloster liegt noch heute genau auf der Grenze zwischen arabischer Altstadt und jüdischer Neustadt.

„Erbittet für Jerusalem Frieden", so beten Juden und Christen schon seine Jahrtausenden an diesem Ort, unweit von Abendmahlssaal und Klagemauer: Friede nicht nur als Geschenk, sondern auch als Aufgabe, mehr als nur Waffenstillstand und Friedhofsruhe. Da braucht es Menschen, die eine Ahnung haben, dass Friede auf dem Boden der Gerechtigkeit, der Aussöhnung, des Verzeihens gedeiht. Dafür leben die Mönche auf dem Sion, und darum beten sie. Wer in ihre Mauern kommt, erahnt, dass der Frieden, der von innen kommt, ein Geschenk Gottes ist.

Dorthin gehen, wo Völker, Kulturen und Religionen aufeinander prallen. Dort bleiben, wo Menschen sich nicht mehr verstehen. Dort beten, wo Worte angesichts der Spirale von Angst, Misstrauen und Gewalt versagen. Das ist der Ort, dem Ralph sich verpflichtet fühlt, die Herausforderung, für die er das eigene Leben in die Waagschale wirft. Er hat seinen Platz gefunden, und der ist wahrlich nicht nur in Jerusalem.

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Im Zeichen des Nashorns

Kolumne

Etwas ratlos stand Imre vor dem neuen Dortmunder Wappentier, dem geflügelten Nashorn. Ein Adler im Wappen einer freien Reichsstadt, unter Umständen auch ein Bär – aber ein Nashorn? Das Symboltier der Dortmunder Philharmonie hatte es unseren ungarischen Gästen angetan, nicht nur als Fotoobjekt. Ein dickhäutiges, unförmiges Tier, tapsig und ziemlich blind, aber mit einem phantastischen Gehör, empfänglich für Ober- und Zwischentöne, für atmosphärische Schwingungen noch über Entfernungen hinweg. 

Auf Einladung der Kommende waren auch diesmal aus Alba Julia auch angehende Priester gekommen, um die Lebens- und Arbeitswelt der Menschen hier kennen zu lernen und von dem Miteinander in Kirche und Gesellschaft zu lernen: Begegnung auf Augenhöhe, Partnerschaft im Zeichen des Nashorns. Denn auch im richtigen Leben kommt es ja nicht unbedingt auf äußere Schönheit an. Da geht es vielmehr um innere Werte, z.B. um die Fähigkeit zu hören, zuzuhören, hinzuhören, Zwischentöne wahrzunehmen, auf Gehörtes eingehen, reagieren zu können ...

Wenn die Sprache die Quelle aller Missverständnisse ist, dann hatten unsere rumänischen Gäste dem Dortmunder Nashorn abgelauscht, dass man selbst dann sich verstehen kann, wenn man nicht die Sprache des anderen spricht. Dass es darauf ankommt, auf den Klang der Worte zu achten: ob sie freundlich sind und ehrlich gemeint, ob sie drohend und fordernd klingen, gütig oder streng.

Der Ton macht die Musik, und so wird das Bild des Dortmunder Nashorns unsere Gäste, so vermute ich, noch weiter begleiten, verbunden mit der Ahnung, dass Verständigung auch ohne Worte möglich ist, und dass einem dabei sogar Flügel wachsen können.

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