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„Alles was wächst, wächst in Freiheit.“ Vertrauen als Schlüssel erfolgreicher Unternehmenskultur

„Wir trauen uns“, so stand es auf einer Einladung zur kirchlichen Trauung. Und in der Tat: das unbedingte gegenseitige Vertrauen, getragen und umfangen vom Vertrauen in Gott, der auch jenseits der Grenze des Vorhersehbaren und Machbaren in Treue zu uns steht, ist Wesensvoraussetzung, dass Menschen einen Bund fürs Leben eingehen: „bis dass der Tod sie scheide“.

So exklusiv und langlebig sind Arbeits- und Geschäftsbeziehungen in der Regel nicht, aber auch hier kommt man ohne Vertrauen und Vertrauensarbeit nicht aus. Auch wenn es im Wettbewerb vordergründig um Kostenanalyse und strategische Unternehmensziele geht, um Effizienz, Produktivität, Profit, hat es sich mittlerweile herumgesprochen, dass Organisationen, Verwaltungen, Unternehmen, deren oberste Führungsprinzipien Kontrolle und Misstrauen sind, mittel- oder langfristig an Bedeutung, Attraktivität und Wirtschaftskraft verlieren. Unternehmensberater sprechen lieber von human values, von sozialer Kompetenz und emotionaler Intelligenz, die zur fachlichen Qualifikation hinzukommen müssen – notwendige Führungsqualitäten, die letztlich den (auch ökonomischen) Erfolg eines Unternehmens sichern. Vielleicht sind deshalb Segeltörns, Klettergärten oder Exposer-Programme im Rahmen von Führungskräfteschulungen so beliebt, weil erst in Stresssituationen deutlich wird, welche Haltungen und Überzeugungen für den einzelnen tragend sind, welche Werte der einzelne verinnerlicht hat.

Vom Wert des Vertrauens

Wertorientierung also auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein Faktor der Wertsteigerung? Das belegen verschiedene Wertestudien, so z.B. die jüngste Studie von „Deep White“, einem schweizerischen Institut, das im Rahmen empirisch-quantitativer Erhebungen von 2004 bis 2008 in Kooperation mit dem Institut Media and Culture (MCM) der Universität St. Gallen in 95 Unternehmen und Organisationen im deutschsprachigen Raum quantitative Kulturanalysen erhoben hat.

Dieser Studie zufolge hat die Wertekultur eines Unternehmens über Verantwortung und Ethik, Einstellung und Identifikation, über Motivation und Leistungsorientierung einen direkten Einfluss auf die Wertschöpfung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie beeinflusst damit in hohem Maße den langfristigen Unternehmenserfolg sowie Substanz und Vermögen der Zukunft-Unternehmen. Fazit: „Die Wertekultur ist ein strategischer Erfolgsfaktor und wichtiger Teil der strategischen Führung des Unternehmens.“

Dies ließe sich darüber hinaus dezidiert auch für christliche Werte nachweisen: Deep White hat (in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband katholischer Unternehmer, BKU, und der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Unternehmer, AEU) das bestehende Werte-Inventar um ein Set von Werten ergänzt, die Herkünfte und Zusammenhänge zu den Werten unserer christlichen Kultur untersuchen sollten. Die Studie „Unternehmen ‚C‘ – Leadership Values – Managertugenden als messbarer Erfolgsfaktor“ gibt die Ergebnisse einer Wertekulturstudie in christlich geführten Unternehmen wieder (2003) und kommt zu dem Schluss: „Die Christlichen Werte unserer Abendländischen Kultur, basierend auf den Tugenden der griechischen Antike erwiesen sich dabei eindeutig als Erfolg versprechende Management-Tools moderner Unternehmen.“ Für eine erfolgreiche Unternehmenskultur nimmt die Ressource Vertrauen dabei eine Schlüsselstellung ein, denn Führungskräfte sind nur so gut, wie sie das Vertrauen ihrer Mitarbeiter genießen, und sie sind nur dann erfolgreich, wenn sie ihren Mitarbeitern vertrauen (können). Dazu müssen sie aber diese kennen. Daran hängt auch der Unternehmenserfolg. Damit wird deutlich: Vertrauen ist eine Beziehungskategorie und beruht auf Gegenseitigkeit. Vertrauen muss wachsen. Führungskräfte können nur Vertrauen einfordern, wenn sie bereit sind, gewissermaßen in Vorleistung zu gehen und ihren Mitarbeitern Vertrauen zu schenken - allerdings nicht blind, denn dazu muss man einander kennen, um einschätzen können, dass Vertrauen nicht missbraucht wird. Vor allem aber haben sich Führungspersönlichkeiten als vertrauenswürdig zu erweisen: dass sie mit Aufrichtigkeit und Respekt ihren Mitarbeitern begegnen, dass Sie gerecht und verbindlich sind und Ihrerseits das Ihnen entgegengebrachte Vertrauen nicht ausnutzen und nicht missbrauchen.

All diese Facetten dieses komplexen Vorgangs stecken in dem lateinische Grundwort „fides“: Treue, Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Schutz, Glaube – mithin ein umfassender Begriff für Tugend, Integrität und Wertüberzeugung. Vertrauen, lat. confidere, engl. confidence, hat etwas mit „Treu und Glauben“ zu tun: Überschuss des Personalen über das funktional Kontrollierbare. Es geht hier also nicht um eine Stellen- oder Funktionsbeschreibung innerhalb der Organisation (Organigramm). Vertrauen als Grundlage für Arbeitsbeziehungen in einer Organisation beschreibt eine personale Dimension, die über die funktionale weit hinausgeht. Dienstgeber wie Dienstnehmer müssen sich die gegenseitige Wertschätzung als Person und darauf aufbauend das Vertrauen zueinander wie unter den Kollegen, in der Mitarbeiterschaft, erarbeiten. Vertrauensbildende Maßnahmen sind also (einseitige) Investitionen in eine personale Beziehung, die auf Gegenseitigkeit angelegt, aber mit dem Risiko des Scheiterns behaftet ist: ein Prozess, der bei den handelnden Personen auf klassischen Tugenden und Werthaltungen gründet und auf Entwicklung, Wachstum, Vertiefung angelegt ist: der Interaktion von Führung und Mitarbeitern. Es ist dabei von beiden Seiten unverfügbares Geschenk, wenn aus vorgängig entgegengebrachte (Ver-/Zu-)Trauen nachhaltige Treue erwächst (womit inhaltlich wie begrifflich exakt an die Sozialenzyklika Papst Benedikts XVI. CARITAS IN VERITATE anzuknüpfen wäre).

Es geht mithin um sog. face-to-face-Kontakte, die auf personale (Arbeits-)Beziehungen angelegt sind und nicht nur auf Abschöpfung von Kompetenz, Dienstleistung und Arbeitskraft: in profit- wie in non-profit-Unternehmen. Diese Interaktion muss sich freilich auf gemeinsame Ziele, Leitbilder, Visionen hin ausrichten, so dass die Arbeit einzelner zu einem unternehmerischen Ganzen verdichtet wird. Grundvoraussetzung, damit aus einer Mitarbeiterschaft eine „Dienstgemeinschaft“ wird – eine Begrifflichkeit, die uns auch im kirchlichen Dienstrecht als hohes Ideal vor Augen schwebt und so schwer einzulösen ist. Das sagen uns mittlerweile auch alle wichtigen Vertreter der Management bzw. Business-Schools.

„Die Würde des Einzelnen muss als eine wertvolle Ressource und nicht als eine Last erachtet werden!“, so David W. Young, Prof. em. an der Boston University School of Management: „Führungskräfte müssen die Folgen ihres Handelns und ihrer Entscheidungen mehr im Blick auf die Dienstgemeinschaft als auf den ökonomischen Gewinn bedenken, den sie steigern müssen.“ Das ist eine kleine Revolution gegenüber der vorigen Generation von Wirtschaftswissenschaftlern, die in Kategorien von Wirtschaftskennziffern, Organisationsabläufen und Shareholder Values dachten. Community building, Stärkung der Unternehmensgemeinschaft oder des Betriebsklimas zahlt sich aus, auch in ökonomischer Hinsicht. Eine solche Unternehmenskultur fällt allerdings nicht vom Himmel, sondern muss kontinuierlich und ernsthaft gewollt und auch erarbeitet werden.

Vertrauen in Leitung

In welcher Organisation und in welchem Unternehmen wird nicht über „die da oben“ geredet, geschimpft – freilich hinter vorgehaltener Hand, selten im offenen Dialog. Der Glaube an das Gute im Menschen fällt oft besonders im Blick auf den eigenen Chef nicht leicht; so gehört das Klagen oder Lästern über den Chef zum Volkssport. Umgekehrt unterlässt es keine Organisation und kein Unternehmen, von den Mitarbeitern Loyalität, Einsatzbereitschaft und vor allem Vertrauen einzufordern. „In der gelebten Unternehmenspraxis bleibt der Begriff des Vertrauens ein Schwallwort, das den Gegenüber, der offenbar nicht vertraut, in die Büßerecke drängt, – eitel, selbstgefällig und nach Applaus heischend. Es wird vor allem immer dann in die Runde geworfen, wenn irgendetwas Wichtiges im Unternehmen nicht funktioniert. Vor allem von Topmanagern, von »oben« also – fordernd- appellativ zumeist, man möge doch und solle doch, und wenn wir nicht, dann ...“ So urteilt der Managementberater und Bestsellerautor Reinhard Sprenger (49) im Vorwort zu seinem Buch „Vertrauen führt“, in dem er wie schon zuvor für die Befreiung des Angestellten vom Korsett der konventionellen Arbeitsorganisation plädiert.

Vertrauen ist keine Wunderdroge, sondern will hart erarbeitet (verdient und gewährt) werden.

Eine Beziehung auf Treu und Glauben. Vertrauen in Leitung korrespondiert allerdings, wie bereits angedeutet, mit einem hohen Führungsethos und Anforderungsprofil für Führungskräfte, dass sie Führungspersönlichkeiten sind: Wer mehr weiß bzw. einen größeren Verantwortungsbereich hat, hat auch eine größere Verantwortung. Führungskräfte tragen Verantwortung für das Ganze, für alle Mitarbeiter, die Kunden, die Lieferanten, die Zukunft des Unternehmens, das geschäftliche und soziale Umfeld wie für die Umwelt.

Das unterscheidet sie von ihren Mitarbeitern, die jeweils ihren Teilbereich im Blick haben und stark machen (müssen). Das setzt angesichts der oft komplexen Entscheidungssituationen die Bereitschaft zur Anerkenntnis der Begrenztheit der eigenen Urteilsfähigkeit voraus, ohne dass Führungskräfte sich deshalb leichthin oder gar arrogant über die Bedenken und Argumenten der Mitarbeiter hinwegsetzen dürfen. Natürlich haben die „Kleinen“ im Betrieb oft nur eine partielle Sicht, die aber ernst genommen werden muss. Insofern sind Interessenkonflikte vorprogrammiert, die aber offen ausgetragen werden müssen. Das wiederum setzt eine Kultur des offenen und ehrlichen Umgangs voraus, in dem Querdenken erwünscht ist, unterschiedliche Meinungen, Bewertungen offen diskutiert werden und Kritik und Widerspruch nicht unterdrückt, sondern in Entscheidungsprozesse einbezogen werden, ohne deshalb die Entscheidungskompetenz (und - pflicht) der Führungskraft in Frage zu stellen.

Wer sein Umfeld stromlinienförmig ausrichtet und die eigene Führungsrolle autokratisch absichert, darf sich nicht wundern, wenn seine Berater sich im Wesentlichen darauf beschränken, zu raten, was die Führungskraft denkt, um diese eben darin zu bestärken. Kein Wunder, dass die Führungskraft dann alsbald den Wirklichkeitsbezug verliert; dafür wird dann der (wirtschaftliche) Misserfolg und / oder der Niedergang des Unternehmens sorgen.

Gerade weil wir Verantwortung an Führungspersönlichkeiten abtreten (müssen), ist es so wichtig, dass wir ihnen vertrauen können und unser Vertrauen nicht enttäuscht wird. Umso schwerer wiegt der Vertrauensverlust in die Führungseliten unserer Gesellschaft, die eine Vorbildfunktion erfüllen sollten. Das Beispiel früherer Hoffnungsträger wie Peter Hartz, Jan Ulrich, Klaus Zumwinkel … gemahnt dazu, jeden grundsätzlich daraufhin zu befragen, ob er das, was er sagt, auch selber lebt. Authentizität ist gefragt, auch im eigenen Unternehmen, und insbesondere von den Verantwortungsträgern auf der Ebene von Vorstand und Geschäftsführung. Mit der Häufung sog. Enthüllungen ist immer auch eine Enttäuschung verbunden, die dazu führt, dass man eigentlich keinem mehr traut: mit der Folge, dass die im Unternehmen angestrebte und von den Mitarbeitern eingeforderte Gemeinwohlorientierung umschlägt in eine privatisierende „Meinwohlorientierung“. Ein Unternehmen, in dem gegenseitiges Vertrauen herrscht – und das ist eine Führungsaufgabe! -, macht mittelfristig die Erfahrung, dass Kosten gesenkt, Arbeitsfreude gesteigert und Reifung der Menschen gefördert werden. Vertrauen ist also zweckrational und emotional von hohem Wert. Nur so kann eine produktive Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern wachsen und zum Erfolg führen. Wenn dagegen eine Führungskraft kein Vertrauen bei ihren Mitarbeitern genießt, steht vor jedem Satz, den sie spricht, ein Minus in der Klammer. Mitarbeiter hören nicht zuerst auf die Sachbotschaft, sie stellen sich vorher die Frage: Kann ich dem Vorgesetzten trauen? Mangelndes Vertrauen führt zu der grotesken Situation, dass sogar eine positive Handlung negativ bewertet wird. Wenn eine Führungskraft zum Beispiel mit dem Mitarbeiter seine Arbeit durchgeht, ist das bei einem Vertrauensverhältnis ein Signal der Wertschätzung und Unterstützung; während es bei mangelndem Vertrauen als Schnüffelei und Misstrauen empfunden wird.

Doch der Aufbau einer Vertrauenskultur ist gar nicht so leicht. Denn Gründe fürs Misstrauen finden sich immer leichter als solche fürs Vertrauen, denn über Vertrauen spricht man vor allem dann, wenn es schon fehlt. Die meisten Unternehmen fördern diese „Verdachtskultur“ (besser: Unkultur). Ob Arbeitszeit oder Arbeitsstand, ob Spesenabrechnung oder Internetnutzung: Man schaut den Mitarbeitern auf die Finger. Wer aber auf „Nummer sicher“ geht (ein Begriff aus dem Strafvollzug, so Sprenger), wer seine Mitarbeiter wie Unmündige behandelt, der macht sie auch dazu. Das ist der Grund, warum misstrauische Führungskräfte schon nach kürzester Zeit von Mitarbeitern umgeben sind, die sich nicht mehr vertrauenswürdig verhalten.

Unternehmen mit starken Hierarchien (top down) leiden darunter, dass Kritik unterdrückt und damit auch Verbesserungsvorschläge, neue Ideen und Innovationen zurückgehalten werden. Sprenger plädiert bekanntlich dafür, dass Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern vertrauen wollen, sich ihnen gegenüber verletzbar machen müssen: Wer immer wieder offen bekennt, dass er sie für seinen eigenen Erfolg braucht - der bekommt ein Team, das hinter ihm steht. In guten wie in schlechten Zeiten.

Vertrauen in Mitarbeiter

„Vertrauen wird zur Schlüsselvariablen erfolgreicher Unternehmensführung.“ (Sprenger) Unternehmen müssen akzeptieren, dass Vertrauen beim Mitarbeiter beginnt, und beim Kunden und in der Beziehung zur Außenwelt endet. Außerdem spart Vertrauen Geld und Kosten. Etwa solche, die durch permanente Absprachen, Verhandlungen und Neuvereinbarungen oder durch teure Überwachungsinstrumente gegenüber den Mitarbeitern entstehen.

Das setzt allerdings eine personale Ebene der Arbeitsbeziehung voraus – das beginnt schon mit dem persönlichen Kennenlernen und endet bei der (persönlichen und /oder öffentlichen) Anerkennung der Leistung -, und das kostet vor allem eines: Zeit, allerdings gut investierte Zeit. Denn wer als Führungskraft seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen so gut kennt, dass er ihnen etwas zutraut und daher auch anvertraut, der steigert auch deren Motivation und Arbeitsfreude. Das bewahrt nicht vor Enttäuschungen, aber gute Pädagogen sehen ihre Schüler immer etwas besser, als sie wirklich sind. Als Regens des Erzbischöflichen Priesterseminars in Paderborn habe ich meine dortige Lernerfahrung auf die Formel gebracht: „Alles was wächst, wächst in Freiheit.“ Ausgehend vom christlichen Menschenbild habe ich mir gelegentlich auch immer wieder ausdrücklich vornehmen müssen, an den guten Willen und Leistungsbereitschaft der mir anvertrauten

– Mitarbeiter wie Priesterkandidaten – zu glauben und deren Grenzen zu akzeptieren: „Keiner kann alles und keiner kann nichts“, wie es in einer Messoration heißt. Und schließlich weiß ich selbst am besten um meine eigenen Grenzen. Insofern steht es auch mir als Dienstvorgesetzen gut an, einem Mitarbeiter die Treue zu halten, auch dann, wenn er einen Fehler macht (anstatt darauf zu warten, dass er einen Fehler macht, um das eigene Vorurteil bestätigt zu finden). Wer permanent verunsichert wird, macht auch Fehler, und in einem Klima der Angst, der Kontrolle arbeitet man defensiv, entsteht kein Innovationsklima.

Umso wichtiger ist es, die entsprechenden Rahmenmöglichkeiten (Büroatmosphäre, Unternehmenskultur, Kollegialität etc.) zu setzen, damit sich der Mitarbeiter wohl fühlen und produktiv arbeiten kann. Eine gute Führungskraft erkennt die Fähigkeiten und Fertigkeiten ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, ihr Entwicklungspotenzial, das es entsprechend zu fördern gilt (Fortbildung, Coaching etc.). Das schließt auch Motivationsarbeit und Förderung der Identifikation mit dem eigenen Unternehmen und seinen Zielen fördern. Damit berühren wir die Sinndimension von Arbeit, Einsatz und Hingabe: Nur wer von etwas überzeugt ist, kann sich auch mit ganzer Kraft dafür einsetzen. Das erfordert den nötigen Freiraum (Vertrauensarbeit), aber ebenso auch einen klaren Ordnungsrahmen mit Zielen, Vorgaben, Grenzen. Wertschätzung und Vertrauen sind also keine Wunderdrogen, sondern müssen entsprechend ermöglicht und gefördert werden. Entscheidend für den unternehmerischen Erfolg ist u.a. der Aufbau einer Beteiligungs- und Innovationskultur, wobei sich das bekannte Instrumentarium der Mitarbeiter- und Zielvereinbarungsgespräche, Bonussysteme (Honorierungen) etc. anbietet.

Es kostet eine Führungskraft im übertragenen Sinn „Vertrauensarbeit“, den anderen als Person ernst zu nehmen und nicht nur seine Arbeitskraft abzugreifen oder auszubeuten. Das schließt auch den Respekt (z.B. Duzen oder Siezen) und die Zurückhaltung gegenüber der Privatsphäre ein. Auch das ist nicht selbstverständlich. Manchem Arbeitnehmer graut davor, wenn der Chef ihn fragt, wie es ihm geht. Doch was darf ein Vorgesetzter gerechterweise von seinem Mitarbeiter erwarten? Natürlich gibt es Stellenbeschreibungen, Personal- und Zielvereinbarungsgespräche. Aber kann der andere, was von ihm verlangt wird? Vielleicht ist das die schwierigste Übung, dem anderen das Vertrauen nicht zu entziehen, wenn er einen anderen Arbeitsstil hat, zu anderen Ergebnissen als den gewünschten kommt, mehr Zeit braucht, als ihm eigentlich zugestanden wird.

Ich hatte etwa als Regens eine Sekretärin übernommen, die bei meinem Vorgänger noch zum Diktat antrat. Wer mich kennt, weiß, wie groß die Umstellung für sie gewesen sein muss auf einen Vorgesetzten, der oft kurz den Kopf ins Büro steckte und ihr zurief: „Ich bin schon unterwegs. Ich rufe Sie gleich aus dem Auto heraus an: Dann können wir in Ruhe besprechen, was anliegt.“ Ich gestehe, mein Arbeits- und Kommunikationsstil, der mehr auf Telefon- und Email-Basis funktionierte, wurde von meiner Sekretärin – darüber haben wir miteinander gesprochen, deswegen kann ich dieses Beispiel auch offen benennen – als Herausforderung angenommen und die größere Selbstverantwortung nicht nur gemeistert, sondern genossen.

Schließlich muss man sich als Dienstgeber immer wieder vor Augen führen, dass es im betrieblichen Miteinander unterschiedliche „Geschwindigkeiten“ gibt: dass die Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters ebenso wie die eigene selbstverständlich Schwankungen, etwa aufgrund von Alter, Krankheit, privaten Sorgen etc., unterworfen ist und respektiert werden muss; ggf. muss auch im Sinne der Fürsorgeverpflichtung ein klärendes Gespräch geführt werden (etwa bei Auffälligkeiten bzgl. Alkohol, bei Beschwerden der Kollegen oder Defiziten in der Arbeit). Aber ich darf mein Tempo nicht zum Maß für die anderen machen. Das kann auch bedeuten, den anderen vor sich selbst und vor Selbstausbeutung zu schützen: „Sie müssen sehen, dass Sie Feierabend machen!“, „Denken Sie an ihre Familie!“

Schwieriger ist es für den Vorgesetzten, wenn er zu hohe Erwartungen an seine Mitarbeiter/-in hat. Da nützt es auch nichts, mit Stechuhr und Zeiterfassungsinstrumenten zu arbeiten als vielmehr selbst eine geistige (und geistliche!) Beweglichkeit und Elastizität zu entwickeln, die dem anderen gerecht wird. Eine klassische Konstellation ist die Zusammenarbeit eines hochmotivierten und hyperaktiven Chefs mit einem Mitarbeiter, der kurz vor der Rente steht und dessen Flexibilität und Arbeitstempo naturgemäß eingeschränkt sind. In einer solchen Arbeitsbeziehung muss der Vorgesetze lernen, dass er von dem anderen nicht etwas verlangen darf, was der gerechterweise nicht erbringen kann. Man stelle sich vor, dass der dynamische Vorgesetzte mit 220 km/h auf der Autobahn fährt und seiner Sekretärin, die mit einer gleichbleibenden Reisegeschwindigkeit von 8o km/h vor ihm unterwegs ist, noch eine Unterlage zu übergeben hat: Dann muss der Vorgesetzte rechtzeitig herunter bremsen, mit der Mitarbeiterin Schritt halten, das Fenster herunterkurbeln, ihr ein freundliches Wort sagen und ihr die Unterlage herüberreichen mit der Bitte, das doch bei Gelegenheit für ihn zu erledigen; danach freundlich grüßen, das Fenster hochkurbeln und langsam wieder Gas geben, um in der ihm eigenen Geschwindigkeit und Betriebstemperatur auf seiner Umlaufbahn die nächsten Aufgaben zu erledigen.

Vertrauen in Führung: geführte Führer

Vor einigen Jahrzehnten machte das Wort von den hilflosen Helfern die Runde, von Menschen, die sich im Dienst an anderen verzehren, aber ihrerseits unfähig sind, bei Bedarf Hilfe anderer anzunehmen. Mir scheint, auf ähnliche Weise gibt es auch führungslose Führer, Menschen, die große Leitungsverantwortung tragen, aber noch nicht zur Einsicht gekommen sind, dass auch sie selbst der Führung bedürfen, um den inneren Kompass nicht zu verlieren.

Wovon lassen Führungskräfte sich leiten? Wenn sie sich selbst Maß sind, erinnern sie mich an die Parabel Nietzsches vom „tollen Menschen“: Wehe ihnen! Sie haben die Erde von der Sonne, Gott, abgekoppelt und treiben, wie von Nietzsche vorausgesagt, unaufhaltsam in die Nacht und Kälte des Weltenraums. Jetzt müssen sie selber Götter sein. - Wohin das führt, haben wir gesehen…

Da braucht es je und je neu die Kunst der Unterbrechung, um selbst einmal zurückzuschauen. Oft wird man dabei erst im Rückblick wahrnehmen: Gott hat uns geführt! So wie Mose sein Volk gelegentlich auf der Wüstenwanderung daran erinnern muss: „Du sollst an den ganzen Weg denken, den der Herr, dein Gott, dich während dieser vierzig Jahre in der Wüste geführt hat, um dich gefügig zu machen und dich zu prüfen. Er wollte erkennen, wie du dich entscheiden würdest: ob du auf seine Gebote achtest oder nicht.“ (Dtn 8,2) Eine Führung, die sich selber geführt weiß, wird nicht nur stolz, sondern vor allem dankbar sein. Eine solche Dankbarkeit stellt sich häufig erst im Nachgang des Geschehenen ein. Dann kann man am Ende des eigenen Weges auch mit erhobenen Haupt einmal selber abtreten: entlassen wegen guter Führung. Weswegen sonst?!