| WAZ

Verantwortung : „Die, die mehr haben, müssen auch mehr geben”

Essen. Peter Klasvogt, der Direktor des katholischen Sozialinstituts Kommende in Dortmund, fordert eine Kultur der Verantwortung bei Managern und Bankern. Der Prälat sieht aber auch den Staat in der Pflicht: Er müsse den sozialen Zusammenhalt mehr fördern.

Das Jahr 2009 förderte erstaunliche Gegensätze zu Tage. Die Lebensmittelkette Kaisers kündigte einer Verkäuferin wegen der Unterschlagung eines Pfandbons im Wert von 1,30 Euro. Gleichzeitig erhielten gescheiterte Bankmanager Millionengehälter. Fehlt es der Wirtschaftselite an moralischer Kompetenz?

Klasvogt: Unsere Gesellschaft muss umsteuern. Das gilt für uns alle, aber im Besonderen für die wirtschaftlichen und politischen Eliten. Die Gier der Manager, die gibt es unbestreitbar. Und doch wäre es zu kurz gegriffen, sich auf einige Sündenböcke zu stürzen. Das Fehlverhalten mancher Wirtschaftsführer ist nur deshalb möglich, weil sich in der Gesellschaft insgesamt eine fragwürdige Mentalität durchgesetzt hat - die Geisteshaltung der Ich-AG.

 

"Wir erleben einen schleichenden Prozess der Entsolidarisierung"

 

Worin besteht diese Einstellung?

Klasvogt: Darin, sich selbst Freiheit auf Kosten der anderen zu genehmigen. Wir erleben einen schleichenden Prozess der Entsolidarisierung. Manche Menschen und Interessengruppen klinken sich aus dem Wertekonsens der Gesellschaft aus.

Können Sie ein Beispiel aus der Welt der Unternehmen nennen?

Klasvogt: Das Prinzip der Gewinnmaximierung um jeden Preis hat in vielen, besonders großen Firmen um sich gegriffen. Gerade hat die Zeitschrift „Finanztest” ermittelt, dass viele Institute ihre Kunden noch immer schlecht beraten. Offenbar geht es den Vorständen nur um ihre Provisionen, und nicht darum, den Kunden gerecht zu werden. Entgegen den offiziellen Beteuerungen steht nicht der Mensch im Mittelpunkt.

Das Gewinnprinzip gehört zum Wesen des Kapitalismus. Wer seinem Egoismus fröne, diene dadurch dem Gemeinwohl, behauptete der Vordenker Adam Smith. Wollen Sie diesen alten Grundsatz angreifen?

Klasvogt: Natürlich lebt die Marktwirtschaft von Profit. Wer einen Betrieb besitzt, will und muss Gewinn machen. Insgesamt kann das aber nur funktionieren, wenn der politische und ethische Rahmen stimmt. Die Orientierung am Gemeinwohl muss immer bewusster Bestandteil ökonomischer Entscheidungen sein. Deshalb darf die Höhe des Gewinns nicht auf Kosten der Allgemeinheit gehen.

 

"Besonders Geldinstitute verstießen gegen das Gebot des Anstandes"

 

Wie hoch darf ein Firmengewinn maximal sein, damit er nicht gegen Interessen der Allgemeinheit verstößt?

Klasvogt: Das kann man nur im Einzelfall genau sagen. Das Ziel einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent, das die Deutsche Bank definiert, scheint mir allerdings überzogen. Manche Unternehmensvorstände stellen sich zu selten die Frage: Wer sind die Verlierer unserer Geschäftspolitik? In den vergangenen Jahren mussten wir beobachten, dass besonders Geldinstitute gegen das Gebot des Anstandes verstießen. Sie versuchten, alles unter die Leute zu bringen, was möglich war – selbst faule Papiere.

Sie kritisieren überzogene Gewinnerwartungen von Firmen. Gilt das auch für den Verdienst des Einzelnen?

Klasvogt: Ja, manche Exzesse sind unerträglich. Manager-Boni von Dutzenden oder gar Hunderten Millionen Euro können als Anreiz wirken, nur den eigenen Vorteil zu sehen und alles andere auszublenden. Man sollte darüber nachdenken, die Boni stark zu begrenzen, zum Beispiel auf 30 Prozent des Festgehaltes.

Wie lautet Ihr dringendster politischer Wunsch für 2010?

Klasvogt: Wir sollten uns daran machen, eine neue Hierarchie unserer Werte zu entwickeln. Es wäre gut, wenn wir mehr Mut hätten, die Sinnfrage zu stellen: Was bringt das, was wir tun? Das gilt gerade für Unternehmen und wäre ein erster Schritt zur einer neuen Kultur der Verantwortlichkeit.

 

"Die allgemeine Stimmung ist auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen"

 

Sie beklagen die Exzesse auf den Finanzmärkten. Zum Teil sind diese seit Jahren bekannt. Warum hat die Kirche nicht gewarnt, bevor es zur Krise kam?

Klasvogt: Die Kirche muss selbstkritisch feststellen, dass sie sich in den vergangenen Jahren nicht immer ausreichend mit fatalen gesellschaftlichen Tendenzen auseinandergesetzt hat. Die allgemeine Stimmung ist auch an uns nicht spurlos vorbeigegangen. Der Sozialstaat ist aus der Balance geraten. Der alte Konsens der Sozialen Marktwirtschaft wurde in Frage gestellt, indem man dem Privatinteresse oft Vorrang vor den Anliegen der Gemeinschaft einräumte.

Wie reagiert die Katholische Soziallehre auf die Krise?

Klasvogt: Vor wenigen Wochen hat die Deutsche Bischofskonferenz ihr Papier „Auf dem Weg aus der Krise” veröffentlicht. Darin setzen sich die Bischöfe dafür ein, die Soziale Marktwirtschaft zu erneuern und ermuntern alle, nach einer neuen Ausgewogenheit von Freiheit, Gemeinwohl und Gerechtigkeit zu suchen.

Wenn Sie mit Managern sprechen - sagen Sie denen auch, dass sie es zu toll getrieben haben?

Klasvogt: Ich habe den Eindruck, dass bei den Vorständen, die ich treffe, eine neue Nachdenklichkeit eingesetzt hat. Man leistet sich neuerdings wieder den Luxus zu überlegen: Wohin steuert das Ganze? Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass eine neue Wertedebatte beginnt.

 

"Der Staat kann den sozialen Zusammenhalt fördern, wenn er nur will"

 

Bei Opel in Bochum werden wahrscheinlich mehrere Tausend Stellen gestrichen. Wie engagiert sich die Katholische Kirche in dieser Auseinandersetzung?

Klasvogt: Anders als im Steinkohlebergbau stehen wir bei Opel nicht im engen Kontakt zum Management. Unsere Priester kümmern sich aber natürlich um Beschäftigte und ihre Familien, die vom Verlust des Arbeitsplatzes bedroht sind. Und die Kirche unterstützt auch Aktionen vor den Werkstoren.

Sie bemängeln, dass sich in unserer Gesellschaft die fragwürdige Mentalität der Ich-AG durchgesetzt habe. Ist dafür auch die Politik verantwortlich?

Klasvogt: Der Staat kann den sozialen Zusammenhalt fördern, wenn er nur will. Leider sind solche Ansätze in der jüngsten Zeit zu kurz gekommen. Fünf Jahre nach der Einführung von Hartz IV muss man sagen: Die soziale Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Da ist etwas ins Rutschen gekommen.

Was sollte die Regierung tun, um die soziale Polarisierung zu verringern?

Klasvogt: Gerechtigkeit bedeutet auch, dass alle einen fairen Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben leisten. Die, die mehr haben, müssen auch mehr geben. Aus dieser Pflicht dürfen wir die Besitzenden nicht entlassen.

 

aus: WAZ, Wirtschaft, 24.12.2009, Hannes Koch