| Anzeiger für die Seelsorge

Bibelübersetzung

Kolumne

Wer schon einmal einen Text bei einem online translator eingegeben hat, mag verwundert oder auch belustigt zur Kenntnis genommen haben, was innerhalb von Sekunden als Ergebnis einer digitalen Wort-für-Wort-Übersetzung präsentiert wurde. Was in der fremden Sprache elegant und leichtfüßig daherkommt, klingt in der wortwörtlichen Übersetzung - unter Beibehaltung der Syntax - oft sperrig und hölzern. Umgekehrt erschließt die freiere Wiedergabe eines fremden Textes zwar den Sinn, allerdings um den Preis fehlender Wortgenauigkeit. „Übersetzen heißt opfern“, so meinte schon mein alter Griechisch-Lehrer mit dem Ausdruck des Bedauerns. Und Recht hatte er. Denn sprachliche Bilder etwa oder Assoziationen, die mit einem bestimmten Wort oder einer Wendung verbunden sind, müssen in der Übersetzung mitbedacht werden. Das verlangt nach einem geradezu kongenialen Übersetzer, der sich so in die Mitteilungsabsicht eines fremden Autors hineinversetzen kann, dass dessen Botschaft auch in der fremden Sprache „über“ kommt.

Dies umso mehr, wenn es sich um „heilige Texte“ handelt. Da braucht es mehr als nur Sprachkenntnis und Übersetzungstechnik, und auch das Wort vom „Opfer“ bekommt dann noch einmal eine tiefere Bedeutung. Was muss etwa einen Franz Rosenzweig, Philosoph und „Sprachdenker“ zu Beginn der 20. Jahrhunderts, bewegt und innerlich umgetrieben haben, noch auf dem Kranken- und Sterbebett – im wahrstem Sinne des Wortes bis zum letzten Wimpernschlag - die Verdeutschung der hebräische Bibel voranzutreiben, zusammen mit Martin Buber? Oder einen Martin Luther, dem aufgrund seiner eigenen existenziellen Glaubenserfahrung so viel daran lag, dass jedermann das Wort Gottes in seiner Sprache verstehen konnte und nicht darauf angewiesen war, im Zweifelsfall ungebildeten oder zweifelhaften Predigern ausgeliefert zu sein. Wie in einem Rausch übersetzte Luther in nur zehn Wochen, selbst noch auf der Flucht, in seinem Versteck auf der Wartburg das ganze Neue Testament.

Vor allem beeindruckt mich die aufopferungsvolle Übersetzungsleistung eines Hieronymus, jenes polyglotten Intellektuellen der frühen Kirche, der am päpstlichen Hof als Berater von Papst Damasus auch selbst hätte „Karriere“ machen können. Stattdessen zog er sich über 35 Jahre in die Abgeschiedenheit eines Klosters in Betlehem zurück, um die gesamte Bibel ins Lateinische zu übersetzen, die lingua franca der damaligen Zeit. Für ihn war evident: „Wie könnte man ohne die Wissenschaft der Schrift leben, durch die man lernt, Christus selbst zu kennen, der das Leben der Gläubigen ist?“ (Ep 30,7). Aber genau das ist der springende Punkt: Wie bringt man Menschen dazu, sich den heiligen Texten auch heute zuzuwenden, so gut und authentisch sie auch in der jeweiligen Muttersprache vorliegen? Und wie gelingt es, das Wort der Schrift so zu lesen, dass man dabei tatsächlich, wie Hieronymus schreibt, Christus selbst kennen lernt: dass er es ist, der zu uns spricht (vgl. Ep. 22,25)? Damit dieser innere Übersetzungsvorgang gelingt, braucht es auch heute jenen Resonanzraum, in dem das Wort zum Klingen gebracht wird: jenes (äußere und innere) Schweigen, das für einen Hieronymus wesentliche Voraussetzung war, um die heiligen Texte nicht nur zu übersetzen, sondern sie zuallererst auch zu verstehen. Und es braucht jenen ekklesialen Tradierungszusammenhang, in dem das Wort Gottes zuallererst aufgenommen und über Jahrhunderte weitergesagt wurde und bis in die Gegenwart hinein verkündet und ausgelegt wird. Doch all unser Erkennen und Verstehen bleibt Stückwerk (vgl. 1 Kor 13,9), wenn nicht der Geist Gottes selber in uns wirkt und uns zuinnerst verstehen lässt, was Gott - auch durch die Worte der Schrift – uns sagen möchte: Geschenk des Glaubens, das man nicht machen, wohl aber empfangen und worum man bitten kann, „denn Gott gibt seinen Geist unbegrenzt“ (Joh 3,34). So ist also der eigentliche Übersetzer der Bibel Gott selbst, der sein Wort aussendet und durch seinen Propheten ausrichten lässt: „Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe“ (Jes 55,11).

Die Übersetzung heiliger Texte ist also letztlich ein geistlicher Akt. Es erfordert von dem Übersetzer, seine gesamte ihm zur Verfügung stehende Sprachkompetenz und Schriftkenntnis einzubringen und sich zugleich so zurückzunehmen, dass der Geist Gottes selber ihn in-spiriert. So gesehen heißt Übersetzen tatsächlich Opfern: sich eben diesem Geist anheimzugeben, so dass Gott selber in seinem Wort zur Sprache kommt.