| Kirche in WDR 2-5

„Herr, hilf!“ - Das Jesus-Gebet

„Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade“ (Ps 119,105) so heißt es in einem Psalm. Ein schönes Bild: Gottes Wort erhellt gleichsam den Weg, der sich mir im Gehen unter die Füße schiebt. Schritte auf dem Lebensweg, die nicht orientierungslos im Dunkeln tappen, sondern bewusst gesetzt, gelenkt werden. Ein schöner, ein beruhigender Gedanke, wenn ich manchmal noch schlaftrunken die ersten Schritte in den neuen Tag setze und manchmal nicht weiß, wie ich bis zum Ende des Tages gelangen soll. „Gottes Wort - ein Licht für meine Pfade“ – ein schönes, vielleicht aber auch ein schiefes, ein falsches Bild? Denn sind es nicht oft ganz andere Lebensweisheiten, die sich in das Denken, Fühlen und Handeln schieben?

Da gibt es etwa das geheime Lebensmotto: „Ich will nicht mehr; es hat ja doch alles keinen Wert“, oder, resignierter noch: „ich kann nicht mehr“. Ein Lebensmotto, geboren vielleicht aus einer tiefsitzenden Enttäuschung, aus dem Gefühl einer Übermacht durch Grenzen, die mir gesetzt werden, die ich mir vielleicht auch selber setze. Resignation, geboren vielleicht aus dem eigenen Versagen, der Überforderung und der Erfahrung, dass es doch nichts bringt, so sehr ich mich auch abstrampele.

Es ist das Gefühl einer lähmenden Müdigkeit und das fehlende Vertrauen, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Anders dagegen die autosuggestive, die übermütige und selbstgewisses Lebensdevise: „Ich will Spaß! Ich will alles, sofort!“ - Da geht es vor allem um mich. Das Leben, eine wundervolle Inszenierung auf der Bühne meiner selbst, gepaart mit Unbekümmertheit oder gar Rücksichtslosigkeit --solange es eben gut geht: solange das nötige Kleingeld da ist; Leute, die mich gut finden und ich nicht plötzlich an eine Grenze komme. Loser-Typen passen nämlich nicht in dieses Selbstbild.

Und dann gibt es da natürlich noch die Lebensphilosophie dessen, der sein Lebensgefühl aus der Arbeit, aus dem Erfolg, der Karriere bezieht: „Es geht alles“ – die amerikanische Lebensphilosophie des „anything goes“, gepaart mit rheinischer Leichtigkeit, dass es eben doch noch immer gut gegangen ist. Aber es gibt Tage und Zeiten, da geht es eben nicht mehr gut. Da stimmt etwas nicht in der Partnerschaft, in der Familie. Oder in der Arbeit, mit dem Erfolg, der Karriere, der Gesundheit.

Doch es gibt neben diesen Stimmungen, „aus dem Bauch heraus“, auch ganz bewusste Lebenshaltungen. Ich finde sie häufig bei Menschen, die die Nähe Jesu suchen, etwa dem blinden Bettler Bartimäus, der kranken, blutflüssigen Frau, der trauernden Martha. Es ist die schlichte, vertrauensvolle Bitte: „Herr, hilf“ Ein Wort, das Jesus wohl immer und immer wieder zu hören bekam, wo er mit Menschen in Berührung kam, zumal den Bedrängten, Betrübten, Betrogenen. Dieser Ruf ist eines der ältesten Jesusgebete, ein Stoßgebet, ein Gedanke, der sich in die verschiedenen Situationen und Begegnungen drängen will. Ein Wort, das auf die Dauer das eigene Denken und Handeln prägt und unser alltägliches Leben in die Sphäre Gottes hebt: Beim Telefonieren, bei einem Arztbesuch, beim Autofahren ... – überall.

„Herr, hilf!“ Auch in der Stunde unseres Todes.

Ende der Kurzfassung

Als ich während meiner ersten Semesterferien im Krankenhaus jobbte, wurde ich von der Krankenschwester auf ein Zimmer geschickt, in dem ein älterer Mann mit dem Tode rang. Er schien große Schmerzen zu haben, war aber nicht mehr ansprechbar. Alles, was ich machen konnte, war, an seinem Bett zu sitzen, ihm die Hand zu halten, ein Gebet zu sprechen. Das einzige Wort, das er stoßweise wiederholte, wohl weil es sich so tief in sein Unterbewusstsein eingeprägt, sein ganzes Leben bestimmt hatte, war genau dieser Hilferuf: „Herr, hilf“. Mich hat dieser Ruf seitdem nicht wieder losgelassen. Es kommt mir vor allem in schwierigen und entscheidenden Situationen immer wieder in den Sinn. Ein Lebens-Wort, das für meinen Fuß tatsächlich zu einer Leuchte geworden ist, Licht für meinen Pfad.

„Herr, hilf!“ Es ist ein Wort, das den Himmel berührt und unser Leben verwandelt. Ich wünsche es Ihnen an diesem Tag.