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Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit …

Kolumne

Tipp von einem guten Freund: Schau Dir in einem fremden Land einfach mal die Friedhöfe an, zum Beispiel den Borissowskoje-Friedhof in Moskau, wo Alexej Nawalny am letzten Freitag bestattet worden ist. „Wie die Menschen mit ihren Toten umgehen, sagt auch etwas darüber, wie sie es mit den Lebenden halten.“ Totengedenken - eine Frage des Respekts. Und wir, die Lebenden, werden daran gemessen, ob und wie wir den Verstorbenen ein ehrendes Andenken bewahren, auch über den Tod hinaus. Unter dieser Rücksicht ist das unwürdige Schauspiel, dass die russische Staatsgewalt aufgeführt hat, um die Herausgabe des Leichnams von Alexej Nawalny und die öffentliche Trauerfeier und Bestattung zu verhindern, ein beredtes Zeugnis ihrer zynischen Menschenverachtung.

Offensichtlich ist selbst der tote Nawalny den Regierenden immer noch gefährlich. Denn weltweit, nicht nur in Russland, man wird sich erinnern, wie er gelebt, was er getan, was er gesagt hat, etwa nach seiner Verurteilung vor dem Moskauer Stadtgericht am 20. Februar 2021: „Sagen Sie doch selbst, Euer Ehren – es gibt in Russland so einen politischen Slogan […] Und das ganze Land wiederholt es: Kraft liegt in Gerechtigkeit. Wer Wahrheit und Gerechtigkeit hinter sich hat, wird siegen.“ Was wenige wissen: Alexej Nawalny bezieht sich dabei auf die Bergpredigt, und er bezeichnet sich selbst als gläubigen Christen. Jemand habe ihm, wie Nawalny berichtet, ins Gefängnis geschrieben: „Du hast doch in einem Interview gesagt, du glaubst an Gott. Und es steht ja geschrieben: Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ Und Nawalny darauf in seinem Schlusswort zu seinem Moskauer Richter: „Da versteht mich ja jemand richtig gut! Nicht, dass es mir gerade bestens ginge, aber dieses Gebot habe ich immer als Handlungsanweisung verstanden.“

Am letzten Freitag fand nun die Trauerfeier für Alexej Nawalny statt. Die Bestattung seines Leichnams nach kirchlich-orthodoxem Ritus war ein Statement. Die Machthaber dürften sich vermutlich die Ohren zugehalten haben. Doch auch wenn der Staatsapparat alles tut, um die orthodoxe Kirche gleichzuschalten und für seine Zwecke zu instrumentalisieren, werden die Worte seines schärfsten Kritikers nicht ungehört verhallen: „Wir sehen gleichzeitig auch, dass Millionen Menschen, zig Millionen Menschen Gerechtigkeit wollen. Sie wollen Gerechtigkeit, und früher oder später werden sie Gerechtigkeit bekommen. »Sie sollen satt werden.«“ – Mich erinnert das an Jesus, der den Mächtigen seiner Zeit prophezeite: wenn man seine Jünger zum Schweigen bringt, „werden die Steine reden.“ (Lk 19,40)