| Erzbistum Paderborn

Von Dortmund nach Rom – Brückenbauer zwischen Kirche und Gesellschaft

Prälat Dr. Peter Klasvogt zieht Bilanz seiner Arbeit im Erzbistum Paderborn und spricht über Chancen und Herausforderungen in seiner neuen Aufgabe als Leiter des Campo Santo 

Die kleine Brackeler Kirche, eine evangelische, grenzt in der Dortmunder Vorstadt direkt an die Kommende, dem Sozialinstitut des Erzbistums Paderborn. Wenn Prälat Dr. Peter Klasvogt in dieser Woche seinen Abschied als Direktor dieser Einrichtung nimmt und sich an seinen neuen Arbeitsplatz nach Rom begibt, hat er wieder eine Kirche in unmittelbarer Nähe. Eine größere, zudem eine katholische. Nur einen Steinwurf vom geschichtsträchtigen Campo Santo Teutonico entfernt liegt der Petersdom, Sehnsuchtsort vieler Gläubiger und Zentrum der Katholischen Welt. Wie er sich als neuer Rektor der „Erzbruderschaft zur schmerzhaften Muttergottes“ und Leiter des dortigen Priesterkollegs fühlt und welche Bilanz seines Wirkens in Dortmund und in Schwerte, wo er in Personalunion auch die Katholische Akademie leitete, zieht, schildert er im Interview mit Reinhold Großelohmann.

Redaktion: Spüren Sie Abschiedsschmerz oder Vorfreude angesichts Ihres Wechsels nach Rom?

Prälat Dr. Peter Klasvogt: Beides. Ich sehe es relativ nüchtern. Ich bin jetzt fast 20 Jahre hier, habe viel aufgebaut, es hat sich viel entwickelt, aber nach dieser Zeit muss man irgendwann abgeben können. Das war absehbar, eigentlich wäre ich ja in Rente gegangen. Deshalb galt es, Strukturen zu schaffen, damit das, was hier gewachsen ist und meines Erachtens wichtig ist, unbeschadet wie spätere Regelungen sind, weitergeht. Insofern kommt das nicht unvorbereitet. Dass ich nun mit 68 Jahren, wo man normalerweise in Rente geht, zum Campo Santo wechsele – statt in Rente auf den Friedhof, um den Kalauer noch einmal zu benutzen – das war so nicht vorherzusehen. Nun bin ich in Rom gewählt für sechs Jahre, damit ist die übliche Altersgrenze bei mir ausgehebelt.
 

Redaktion: Was hat Sie in diesen fast 20 Jahren geprägt?

Klasvogt: Was mich geprägt hat? Ich war vorher Regens des Priesterseminars in Paderborn. Das war eine Tätigkeit nach innen hin, binnenkirchlich. Mit meinem Wechsel zur Akademie und zur Kommende war es umgekehrt, es ging nach außen. Wie bringen wir Kirche, unsere christlichen Werte, hinein in die Gesellschaft? Kontakte in alle Bereiche sind wichtig. Vernetzung mit Politik, Wirtschaft, Unternehmen, Gewerkschaften. Völlig neue Felder. Ich habe den Seminaristen immer gesagt: Leute, Ihr seid keine Ordenspriester, ihr seid Weltpriester! Unsere Mission, unsere Sendung, geht in die Gesellschaft hinein! Insofern war mir klar: Ja, das ist genau mein Auftrag.
 

Redaktion: Und was haben Sie geprägt?

Klasvogt: Vielleicht zwei Aspekte zur Kommende: Es gab schon seit den 1970er Jahren die sogenannten Sozialen Seminare für Erwachsene, unter anderem mit Schülern der Hauptschule Husen. Und wir haben festgestellt, dass viel zu viele junge Menschen keine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung haben. Das hieß: Der Weg in Hartz 4 war vorgezeichnet. Die Frage war: Wollen wir uns das als Gesellschaft leisten? Wollen wir uns das als Kirche gefallen lassen? Was macht das mit jedem Einzelnen? Also haben wir gesagt: Wir müssen uns dagegen stark machen! Wir haben eine Stiftung gegründet: „beneVolens“, Jugend fördern, Zukunft gestalten für Kinder und Jugendliche im bildungsfernen Milieu. Diese Initiative wird mittlerweile im ganzen Land wahrgenommen und geschätzt. Und sie war wichtig: Wir kümmern uns um jene, die am Rand der Gesellschaft sind. In der Akademie haben wir dagegen ein Begabtenförderungsprogramm aufgesetzt. Denn wir müssen junge Leute fördern und begleiten, die morgen an den Stellschrauben der Gesellschaft sind. Daraus ist auch ein e.V. entstanden, die Campus-Weggemeinschaft e.V.. Mir war wichtig, solche Entwicklungen strukturell zu sichern, unabhängig davon, wie es nach mir weitergeht. Damit es weitergeht. Deshalb auch die strukturelle Anbindung an die Akademie beziehungsweise Kommende. Dasselbe hat sich im Blick auf Osteuropa entwickelt: Ich habe fast 20 Jahre lang sogenannte Sozialakademien für Seminaristen aus Ost- und Mitteleuropa durchgeführt, 350 Seminaristen aus 16 Ländern, die mittlerweile aus diesem Geist der Soziallehre heraus in ihren Ländern tätig sind. Mit einigen der Alumni haben wir dann eine Jugendbewegung ins Leben gerufen und eine eigene Stiftung gegründet: „socioMovens. Giving Europe a Soul“, ausgerichtet auf den Prozess der europäischen Integration. Das sind ein paar Schlaglichter. In 20 Jahren ist viel gewachsen.
 

Redaktion: Haben die großen Umwälzungen in der Kirche auch die Arbeit von Akademie und Kommende verändert?

Klasvogt: Der Rückgang der Kirchenbindung hat die Katholische Akademie Schwerte wohl stärker betroffen: eine „Akademie in zentraler Randlage“ wie ich gerne sage: strategisch wichtig an einem Autobahnkreuz, aber trotz der Nähe zu Dortmund liegt sie in einem anderen Kreis, in einer anderen Stadt. Das Programm muss sich aber immer nach dem Standort richten. Als Katholische Akademie wollen wir der regionale Player in der Gesellschaft sein. In dem Maße, wie die Menschen immer weniger Bezug zu ihrer angestammten Kirchengemeinde haben, sind solche Begegnungsorte des Dialogs und der Auseinandersetzung immer wichtiger, wo Menschen gerade aufgrund ihrer Profession den Kontakt mit der Kirche suchen. Das betrifft Akademie wie Kommende. Die Kommende war immer schon sehr profiliert als der Ort, an dem die Katholische Soziallehre propagiert und Menschen damit in Kontakt gebracht wurden. Das hat sich in den letzten Jahren noch erheblich verstärkt.

Als Katholische Akademie wollen wir der regionale Player in der Gesellschaft sein. In dem Maße, wie die Menschen immer weniger Bezug zu ihrer angestammten Kirchengemeinde haben, sind solche Begegnungsorte des Dialogs und der Auseinandersetzung immer wichtiger, wo Menschen gerade aufgrund ihrer Profession den Kontakt mit der Kirche suchen. Das betrifft Akademie wie Kommende.
 

Redaktion: Stehen mit ihrem Weggang grundsätzliche Änderungen bei Kommende und Akademie an?

Klasvogt: Ich habe damals die Leitung beider Einrichtungen übernommen, gewissermaßen „im Paket“. Vorher hatten beide Akademien ihren eigenen Direktor. Jetzt wurde für die Akademie Monsignore Dr. Menke-Peitzmeyer als Nachfolger ernannt, bisher Regens des Priesterseminars. In der Kommende ist mein Stellvertreter, Detlef Herbers, kommissarischer Leiter. Die Kommende wird derzeit neu ausgerichtet, unter anderem auch in Verbindung mit dem Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre der Katholisch-Theologischen Fakultät Paderborn. Die Entkoppelung von Kommende und Akademie ist allerdings kein Schritt zurück, sondern ein Schritt nach vorn. Die Frage ist ja, wie wir beide Einrichtungen unabhängig profilieren können. In anderen Bistümern ist man leicht geneigt, am ehesten an der Bildung zu sparen, ohne sich bewusst zu machen, dass gerade dort die Kontaktflächen sind zur Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, wo Kirche als Gesellschaft gestaltende Player wahrgenommen und ernst genommen wird. Es ist richtig und wichtig und ich finde es hervorragend, dass das Erzbistum mit Erzbischof Udo Markus Bentz genau dies unterstreicht, um beide Einrichtungen stark zu machen in ihrer Sendung, ihrer Mission. Dafür bin ich dem Erzbischof ausgesprochen dankbar.
 

Redaktion: Was erwartet Sie in Rom?

Klasvogt: Das ist sehr komplex. Der Campo Santo Teutonico ist die älteste deutsche Nationalstiftung auf römischem Boden. Sie wurde der Überlieferung nach vor über 1200 Jahren von Karl dem Großen gegründet und ist seit mehr als 500 Jahren im Besitz der Erzbruderschaft zur Schmerzhaften Muttergottes beim Campo Santo der Deutschen und Flamen. Auf dem Gelände befindet sich das Päpstliche Priesterkolleg, in dem deutschsprachige Priester wohnen, während sie an ihrer Promotion oder ihrem Lizenziat arbeiten oder in vatikanischen Dikasterien arbeiten. In naher Zukunft steht eine große Baumaßnahme an, um die Gebäude zu sanieren. Da es sich um eine Nationalstiftung handelt, stellt der deutsche Staat einen zweistelligen Millionenbetrag bereit, der von der Erzbruderschaft anteilig aufgestockt wird.

Zudem feiern wir im nächsten Jahr ein großes Jubiläum. Dann besteht das Priesterkolleg 150 Jahre, 1876 mit päpstlichem Schreiben gegründet: eine gute Gelegenheit, das Profil des Kollegs zu stärken. Ich sehe eine meiner Hauptaufgaben darin, die von Papst Benedikt als Päpstliches Kolleg aufgewertete Einrichtung deutlich zu profilieren. Da spielt der Standort im Zentrum der Katholischen Kirche eine entscheidende Rolle. Denn mit Papst Leo XIV. fängt wie mit jedem Papst ein neues Kapitel der Kirchengeschichte an, und wir sind ein privilegierter Ort, um diese Impulse aufzugreifen und den Priestern aus den deutschsprachigen Ländern anzubieten, die päpstliche Sozialverkündigung zu vertiefen und sich zugleich als „Transmissionsriemen“ in ihre jeweiligen Ortskirchen zu verstehen. Das ist eine tolle Möglichkeit, unseren bescheidenen Beitrag zu leisten, um die Botschaft von Papst Leo XIV. zu vertiefen.
 

Redaktion: Ist Rom nun ein Weg zurück zu ihrem früheren binnenkirchlichen Wirken?

Klasvogt: Ja und Nein. Hier in Dortmund und in Schwerte war ich gesellschaftlich bestens vernetzt. Das entsprach auch unserem Sendungsauftrag in die Gesellschaft hinein. In einem Priesterkolleg in Rom steht die Formung und Begleitung von Priestern, Promovierenden im Vordergrund, ebenso die geistliche Begleitung einer Erzbruderschaft, die dort seit Jahrhunderten ansässig ist. Doch zugleich ist der Campo Santo auch der Sitz der Römischen Abteilung der Görres-Gesellschaft. Hier finden regelmäßig Vortragsabende und wissenschaftliche Foren statt, der Campo ist insofern auch kulturelles Zentrum, ein Ort des Dialogs und des wissenschaftlichen Diskurses. Das soll – auch nach dem Willen der Bischofskonferenz – gestärkt werden. Da der Campo Santo exterritoriales Gelände ist: auf italienischem Boden, bewacht von der Schweizer Garde, ist der Zugang nur eingeschränkt möglich. Pilger und Gäste, die den Friedhof oder die Friedhofskirche besuchen, sind jedoch herzlich willkommen. Pilgergruppen feiern hier ihre Gottesdienste. Wie man sieht, bietet der Ort viele Chancen und Möglichkeiten. Nachdem der Vorgänger schon vor eineinhalb Jahren zurück nach Deutschland ging, muss nun neu durchgestartet werden – eine Herausforderung, der ich mich mit großem Respekt stelle. Ich sehe jedoch, dass ich überall mit großem Wohlwollen empfangen werde.
 

Redaktion: Sie kennen Rom bereits sehr gut und sprechen Italienisch. Wie wichtig ist dies für Sie?

Klasvogt: Ich bin als Regens des Priesterseminars jedes Jahr mit Diakonen nach Rom gefahren. Wir hatten jedes Mal eine Papst-Audienz und konnten mit Papst Johannes Paul II. in seiner Privatkapelle die Messe mitfeiern. Auch als Direktor von Kommende und Akademie war ich regelmäßig mit Gruppen in Rom, wobei in der Regel weniger zu Besichtigungen als vielmehr zu Hintergrundgesprächen. Als Vorsitzender des Leiterkreises der Katholischen Akademien im deutschsprachigen Raum habe ich alle fünf Jahre eine Konferenz in Rom organisiert, gewissermaßen unsere „Ad-limina-Besuche“, wie wir scherzhaft sagten. Denn wir müssen wissen, wie „die Römer“ denken, und „die Römer“ müssen wissen, wie wir in Deutschland über die verschiedenen Themen denken. Und deshalb ist es wichtig, dass es diesen Austausch gibt. Vielleicht auch angesichts der Diskussionen in Deutschland um die Zukunft der Kirchen. Kommunikation und gegenseitige Verständigung sind das A und O. Insofern war ich oft in Rom. Zeitweise habe ich auch als Konsultor im päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden an Konferenzen und Kongressen teilgenommen.
 

Redaktion: Sie treten zu einem Zeitpunkt an, da ein neuer Papst vielleicht neue Wege geht…

Klasvogt: Den neuen Papst Leo XIV. kenne ich nicht persönlich. Er gilt als moderat. Ich finde beeindruckend zu sehen, wie er inhaltlich die Linie von Franziskus weiterträgt und umsetzt. Papst Franziskus hat unglaubliche Verdienste erworben. Jetzt kommt die Phase, entsprechende Strukturen zu schaffen. Aber die Mühen der Ebene sind oft schwieriger als das Tor aufzustoßen. Für Papst Leo XIV. hat die Einheit der Kirche oberste Priorität; es gilt, alle Gläubigen mitzunehmen auf den Weg der Kirche – im Hören darauf, was der Geist der Kirche sagt. Der Wahlspruch von Papst Leo XIV. „In illo uno unum“ wäre auch ein wunderbares Leitwort für das Priesterkolleg und den Campo Santo. So unterschiedlich, wie wir sind: in dem Einen sind wir eins. Ob das die Ordensschwestern sind, die Kollegiaten, die Erzbrüder und -Schwestern oder die Wissenschaftler. Das wäre ein wunderschönes Programm, das wir sofort mit Leben füllen könnten.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch.

[Text: Reinhold Großelohmann | Erzbistum Paderborn]